Vermehren sich Körperzellen unkontrolliert, wächst ein Tumor heran. Doch Brustkrebs ist nicht gleich Brustkrebs: Die Krankheit verläuft individuell. «Je mehr wir über die Biologie des Krebses wissen, desto sicherer können wir entscheiden, ob eine Chemotherapie zur Behandlung vorteilhaft ist oder nicht», erklärt Dr. Heike Frauchiger-Heuer, Oberärztin in der Klinik für Gynäkologie, Koordinatorin des Brustzentrums am Universitätsspital Zürich.
Heike Frauchiger-Heuer, Dr. med.
Oberärztin Brustzentrum Leitung a.I.
Schwerpunkt operative Gynäkologie
Schwerpunkt Senologie
Universitätsspital Zürich, Klinik für Gynäkologie
Warum ist es wichtig, Brustkrebs individuell und möglichst frühzeitig zu behandeln?
In der Brust gibt es verschiedene Zellarten, aus denen ein Krebsgeschwür erwachsen kann. Mit welcher Geschwindigkeit sowie Intensität der Tumor wächst und streut, das variiert von Patientin zu Patientin. So gibt es Tumore, die gefährlicher sind als andere, wobei sich die Gefährlichkeit am Vorhandensein von Rezeptoren für die Hormone Östrogen (ER+) und Progesteron (PR+) sowie von Wachstumsrezeptoren (HER2) festmachen lässt. Die besten Chancen verspricht deshalb eine individuell und passgenau auf den jeweiligen Brustkrebs zugeschnittene Behandlung. Dafür gilt: Je früher und genauer das Wesen des Krebses (Tumorbiologie) erkannt wird, desto grösser sind die Behandlungschancen.
Profitiert jede Brustkrebspatientin von einer Chemotherapie?
Eine Chemotherapie bewirkt entweder den Tod einer Krebszelle oder hindert diese daran, zu wachsen und sich zu teilen. Um das Wachstum der Krebszelle zu hemmen, bieten wir ihr mit der Chemo quasi falsche Zellbausteine an – was bei schnell wachsenden Tumoren gut funktioniert, bei langsam wachsenden, hormonsensiblen dagegen weniger. Für die Wahl der passenden Brustkrebstherapie heisst das: Eine Chemo wirkt nicht bei allen Brustkrebsarten. Hinzu kommt das Wissen darüber, dass jede Chemo gewisse Risiken für die damit Behandelten birgt, denn sie belastet immer physisch und fast immer psychisch. Die Entscheidung für oder gegen eine Chemotherapie sollte daher immer auf einem Maximum an Wissen dazu beruhen, ob diese vorteilhaft für die Patientin ist.
Welche Rolle spielen Genexpressionstests bei der individuellen Therapieentscheidung?
Die pathologische Untersuchung der Tumorgewebeproben liefert uns viele Informationen zu dessen Wesen, sodass wir in manchen Fällen faktenbasierte Entscheidungen zu seiner Behandlung treffen können. In Fällen, wo der Nutzen einer Chemo angesichts uns dank der Pathologie bekannter Parameter wie die Tumorart, die Tumorgrösse und die Zellteilungsgeschwindigkeit (Teilungsrate) infrage steht, kann man mit einem smarten Genexpressionstest fundierte Aussagen dazu machen, ob und wie der Tumor auf die Chemotherapie reagieren wird. Das hilft uns Ärztinnen und Ärzten, gemeinsam mit den Patientinnen die erfolgversprechendste Therapie zu wählen. Tendenziell führt der Einsatz der Genexpressionstests dazu, dass weniger Patientinnen eine Chemo erhalten. Das konnte mit unabhängigen Langzeitstudien (bis zwölf Jahre) recht gut belegt werden.
Bei einer der Studien, die Sie gerade erwähnten, ging es auch um das sogenannte Chemobrain. Was hat es damit auf sich?
Krebspatientinnen berichten nach einer Chemotherapie teilweise von kognitiven Beeinträchtigungen wie Gedächtnislücken, Konzentrationsschwächen oder verlangsamtem Denken und Entscheiden – ein Phänomen, das im Englischen Chemobrain, also «Chemogehirn», genannt wird und meist nur kurzfristig anhält. Mitunter leiden die Betroffenen jedoch länger darunter, manche bis zu fünf Jahre und mehr. Auch wenn wir noch nicht genau erklären können, warum das Chemobrain auftritt, ist es eins der Risiken, die eine Chemo birgt. Insofern ist es umso wichtiger, anhand fundierter Tumorbiologie mittels Genexpressionstest bestimmt zu entscheiden, ob eine Chemo von Vorteil ist oder nicht.